Grundbegriffe

Worauf es deswegen bei dem Studium der Wissenschaft ankommt, ist die Anstrengung des Begriffs auf sich zu nehmen.

(G.F.W. Hegel)
Nicolai Hartmann

„Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe blind

Von den Begriffen geht eine eigentümliche Macht aus. Wofür es Namen gibt, da erwarten wir eine Sache oder einen Sachverhalt. Begriffe beinhalten immer schon weltanschauliche Tendenzen. Sie bestimmen mit darüber, wie die Gegenstände unserer Betrachtung uns erscheinen, die in ihrem Lichte sichtbar werden. Hegel forderte deshalb die „"Arbeit am Begriff"; denn er war der Meinung, dass Begriffe im Laufe der Geschichte ihres Gebrauchs „absinken". Zu Zeiten ihrer Prägung standen sie im Kontext einer Weltsicht, die für jeden anwesend war, der sie benutzte. Wir wollen sie hier nicht antiquarisch konservieren, sondern uns von dem darin greifbar werdenden Geist berühren lassen.
Wenn also zu jedem Begriff ein weltanschaulicher Bezugsrahmen gehört, dann reicht es nicht aus, in Kurzdefinitionen auf diese uns oft nicht mehr zugänglichen Anschauungen zu verweisen. Anders als in den Naturwissenschaften, in denen eindeutige Bestimmungen im Vorfeld erforderlich und nützlich sind, wird in der hermeneutischen Tradition der umgekehrte Weg eingeschlagen: Aus der Vielfalt der Problembezüge bildet sich am Schluss der Ausführungen günstigenfalls das mit dem Begriff Gemeinte deutlicher ab als zuvor.

Die Auswahl unserer Grundbegriffe verfolgt die Absicht, die besondere Sichtweise der Tiefenpsychologie und ihrer Weiterentwicklungen deutend zu beschreiben. Auch wenn man unserer Auswahl subjektive Willkür vorhalten kann, so bemühen wir uns doch, eine gewisse Breite und Tiefe anzustreben. Dabei wird jedoch manches den ‚methodenbewussten' Erkenntnistheoretiker irritieren. Wir möchten potenzielle Liebhaber unserer durchaus liebenswerten Wissenschaft ansprechen und nehmen in Kauf, wenn wir streng-akademischen Maßstäben nicht genügen sollten.

Was wir hier anstreben, dazu heißt es bei Nicolai Hartmann:
„"Schon um Missverständnisse auszuschließen, bedürfte es einer Definition, und sei es auch bloß einer nominellen. Diesem Erfordernis lässt sich nicht Rechnung tragen. Es ist damit nicht anders als mit den meisten thematischen Grundbegriffen der Philosophie: Materie, Substanz, Leben, Bewusstsein oder gar Sein, Realität, Wert. Wer von solchen Gegenständen handelt, macht unvermeidlich die Erfahrung, dass Nominaldefinitionen der Untersuchung nur hinderlich werden; sie sind nicht nur methodisch irreführend, sondern nicht einmal brauchbare Mittel der Verständigung. Die Wahrheit ist - um es gleich zu sagen -, dass wir solche Grundbegriffe überhaupt nicht definieren können. Die Begriffsbestimmung setzt hier überall die Untersuchung, die erst geführt werden soll, schon voraus. Jedes Bestimmungsstück will erarbeitet sein... Reinlicher, obgleich im Anfang unbefriedigender, ist ein Vorgehen, das auf Vortäuschung logischer Umrissenheit verzichtet, wo keine vorhanden ist. Und es kann sich keine einstellen, bevor die einschlägigen Phänomene geklärt sind. Aus diesen allein lassen sich positive Bestimmungen gewinnen."

Nicolai Hartmann (1933): Das Problem des geistigen Seins. Untersuchungen zur Grundlegung der Geschichtsphilosophie und der Geisteswissenschaften, Göttingen 1962, S. 45f.